Bremsen, aber richtig.

von Thomas Ihle   
Fußbremspedal und Vorderrad-Bremsscheibe

Außer, dass im Fragebogen steht, Motorradfahrer sollen »normalerweise« mit beiden Bremsen (Vorder- und Hinterradbremse) arbeiten, gibt es noch eine Menge mehr zu diesem Thema zu sagen...

Wie bremst der durchschnittliche Motorradfahrer?

Die Bremskraftverteilung zwischen Vorder- und Hinterradbremse beträgt nach einer Untersuchung von 110 Testpersonen  8  mit unterschiedlicher Motorraderfahrung:
- Vorderradbremse: 42,3 %
- Hinterradbremse: 169,8 % - (überbremst oder blockiert!)

Welche Bremse ist die beste?

Grundsätzlich ist dies abhängig von der Bremsverzögerung. Bei einer Bremsverzögerung von 2 m/s² (schwache Bremsung) ist die Bremswirkung gleich - jeweils 50 % Vorder- und 50 % Hinterradbremse. Bei einer Vollbremsung (8 m/s²) übernimmt die Vorderradbremse 82,5 % der Bremskraft und die Hinterradbremse 17,5 %. Bei wesentlich höherer Verzögerung - sofern die Fahrbahn griffig und trocken ist, wird die Bremsverteilung komplett auf die Vorderradbremse übertragen und im Extremfall wäre ein Überschlag die Folge  6 .

Kann man optimal bremsen?

Eigentlich nicht. Dafür braucht man Rennsporterfahrung und auch dies geht oft schief. Und auf der Rennstrecke gibt es keine unvorhergesehenen »Bauarbeiten« - Schienen, Rollsplitt Kopfsteinpflaster und Regen. Hier hilft nur ABS. Die modernen ABS-Systeme können gerade unter diesen Bedingungen auch von Testfahrern nicht überboten werten. Die Elektronik rechnet und korrigiert eine Rad-Blockade in einer Sekunde bis zu 15 Mal. Kein Mensch ist dazu in der Lage.

Auf welche Bremse sollte man mehr Wert legen, vorne oder hinten?

Bei höheren Verzögerungen eindeutig auf die Vorderradbremse. Bei normalen Bremsungen in der Stadt z.B. vor dem Abbiegen oder vor Kurven ist die Hinterradbremse die bessere Wahl. Insbesondere bei ganz niedrigen Geschwindigkeiten und stark eingeschlagener Lenkung verursacht die Vorderradbremse ein Kippmoment, das blitzartig zum Sturz führen kann. Also hier unbedingt die Hinterradbremse.

Warum kann es bei einer Vollbremsung zum Sturz kommen?

Ein blockiertes Hinterrad ist relativ leicht zu beherrschen. Mit blockiertem Hinterrad kann man erstaunlich lange Strecken zurücklegen. Ein blockiertes Vorderrad wird schon wesentlich schwieriger. Das volle Ziehen am Vorderradbremshebel führt nach 0,2 Sekunden zum maximalen Bremsdruck und 0,2 Sekunden danach zur Vorderradblockade  9 . Sofern man nicht in einer Gefahrsituation ist, gelingt es auch den Bremsdruck zu reduzieren und einen Sturz zu vermeiden.
Sehr oft gelingt dies nicht, unter anderem deshalb, weil
a) die Ellenbogen (!!!) nicht gleichmäßig durchgedrückt werden und unbewusst über das Vorderrad ein Lenkmoment erzeugt wird, das sofort zum Sturz führt.
Zu beachten ist: Aufgrund der starken Bremsung verkürzt sich durch die Einfederung der Nachlauf, das Motorrad wird instabiler  7 .
b) bei einer Einscheibenbremse vorne (die meisten 25 kw Motorräder haben nur eine Bremsscheibe vorne) wird durch den seitlichen Abstand der Bremsscheibe zum Radmittelpunkt ebenso ein Lenkmoment erzeugt, welches die Gabel bei einer Vollbremsung um 2...3 Grad dreht  2 . Also darauf achten, auf welcher Seite die Bremsscheibe angebracht ist. Scheibe links, Rad dreht sich links raus - und umgekehrt. Sogar innerhalb einer Baureihe kann dies differieren. BMW F 650 GS - Scheibe links; BMW F 650 CS - Scheibe rechts.
Erstaunlicherweise gelingt es Profis trotz blockiertem Vorderrad, noch geradeaus zu fahren.

Gibt es technische Alternativen?

Schon lange weiß man,  5  dass die Bremskraftverteilung beim Motorrad den Fahrer - auch den Erfahrensten - in Notsituationen überfordert. Bei Gefahr wird fast immer die Hinterradbremse bis zum Blockieren gebracht. Durch den Schreck wird instinktiv die Bremse gelöst - auch die Vorderradbremse - was natürlich den Bremsweg verlängert. Technisch ist dies nur mit einer Kombibremse, zusammen mit ABS, zu lösen. BMW bietet genau dieses System seit 2001 an.

Bremskraftverteilung


 
  Literatur:
 

 1  —  Bönsch, H.W.: Einführung in die Motorradtechnik. Motorbuch Verlag Stuttgart. 3. Auflage 1981.
 2  Bönsch, H.W.: Fortschriftliche Motorrad-Technik. Motorbuch Verlag. Stuttgart. 1. Auflage 1985.
 3  Breuer, B.: Skriptum Vorlesung Motorräder. Fahrzeugtechnik TH Darmstadt. Fzd Darmstadt. 1985.
 4  Helling, Jürgen: Umdruck zur Vorlesung Krafträder. Institut für Kraftfahrwesen RWTH Aachen. 1985.
 5  Präckel, Jürgen: Bremsverhalten von Fahrern von Motorrädern mit und ohne ABS. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen. Fahrzeugtechnik. Heft F 18. Bergisch Gladbach 1996.
 6  Schmieder, Martin: Kraftschlusspotentiale moderner Motorradreifen. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen. Fahrzeugtechnik. Heft F 9. Bergisch Gladbach 1994.
 7  Stoffregen, Jürgen: Motorradtechnik. Vieweg Verlag. Braunschweig/Wiesbaden. 4. Auflage 2001.
 8  Vavryn, Kurt / Winkelbauer, Martin: Beurteilung der Bremsbedienung bei Motorradfahrern. Zeitschrift für Verkehrsrecht. 4/2001.
 9  Weidele, A.: Kraftradbremsen. ABS-geregelte Kurvenbremsung unter Berücksichtigung von Kraftschlussausnutzung, Fahrstabilität und Kurshaltung. Forschungsberichte des Bundesministers für Verkehr. Bereich Fahrzeugtechnik. Nr. 9. Bergisch Gladbach 1992.


 
  Über den Autor

 
  Thomas Ihle  

Thomas Ihle

seit 1985 Fahrlehrer,
davor Polizeibeamter
(u.a. Unfallermittler in Stuttgart),
 
lebt und arbeitet in Krefeld.
Spezialgebiet: Motorradphysik

   
    E-Mail    Homepage:  www.thomas-ihle.de 
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